Kurzgeschichte des Monats

An dieser Stelle findet ihr jeden Monat eine neue Kurzgeschichte. 

Diesmal geht es um eine Gerichtsverhandlung mit Schmunzelfaktor. Eine Frau steht vor dem Richter und sagt aus. 

Was genau, lest ihr weiter unten. Viel Vergnügen!

 

 

 

Der skifahrende Chirurg

 

 

„Bitte erzählen Sie genau, was an dem bewussten Tag geschehen ist.“
„Von Anfang an?“
„Ja, von Anfang an.“
„Darf ich etwas Erklärendes vorausschicken?“
„Wenn es zum Sachverhalt beiträgt, bitte.“
„Gut. Vor einigen Wochen waren mein Mann und ich im Skiurlaub in Österreich. Dort gewann er am letzten Tag so eine interne kleine Meisterschaft. Er bekam einen Pokal, wurde gefeiert und war stolz wie Oscar. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe ihm diesen Triumph gegönnt, von ganzem Herzen. Ja, ich habe mich mit ihm gefreut. Doch dann …“
„Was geschah dann?“
„Er sprach von nichts anderem mehr. Ski hier, Ski da. Erzählte immer wieder von dem entscheidenden Lauf, wie geschickt er die Kurven genommen hat, wie er sein Tempo steigerte und den Berg förmlich hinabflog … Es hörte nicht wieder auf. Von morgens bis abends immerzu dieselbe Leier.“
„Ich verstehe. Kommen wir nun zu dem bewussten Tag …“
„Er fing wieder an, von seinem Sieg zu schwärmen, direkt nach dem Aufwachen. Da hatte ich genug und bat ihn, nein, ich verlangte rigoros, dass er damit aufhört, weil ich es nicht mehr hören könne. Kein Wort mehr übers Skifahren, habe ich ihm gesagt, sonst würde ich seine Koffer packen und ihm vor die Tür stellen. Verstehen Sie, ich war wirklich sehr wütend.“
„Und er hörte nicht auf?“
„Oh doch! Das Thema Skiurlaub war endlich vom Tisch. Ich atmete schon erleichtert auf. Dann fragte ich ihn, was er zum Mittag essen wolle, und er meine, vielleicht etwas leckeres mit Chicorée. Dabei blitzten seine Augen voller Schalk.“
„Ich fürchte, ich verstehe nicht …“
„Warten Sie, es geht noch weiter. Am frühen Abend waren wir zu einer kleinen Feier eingeladen. Jeder sollte etwas zum Buffet beitragen, und er schlug mir vor, meinen leckeren Schichtsalat zu machen. Wieder mit diesem Blick. Dann fügte er hinzu, er hoffe, es würde zu späterer Stunde Chips geben. Sie wissen schon, Kartoffelchips.“
„Ja, diese Knabberdinger sind mir bekannt. Aber was hat das alles …?“
„Haben Sie noch etwas Geduld. Als wir ankamen bei der Feier unterhielten wir uns mit diversen anderen Gästen. Auf die Frage, was mein Mann beruflich mache, antwortete er wahrheitsgemäß, er sei Chirurg und arbeite im Schichtdienst. Dabei warf er mir erneut diesen Blick zu, und an der Art, wie er die Worte betonte, begriff ich endlich, was er im Schilde führte. Er versuchte, mich zu provozieren.“
„Wie das? Verzeihen Sie, aber ich bin offenbar etwas begriffsstutzig.“
„Schi-rurg! Schi-koree! Schi-chtsalat! Er hielt sich an meine Bitte, nicht mehr übers Skifahren zu reden, hatte aber eine Hintertür gefunden und wollte mich damit zur Raserei bringen. Im Laufe des Abends erzählte er, er würde so gern mal nach China oder Chile reisen, halte Chirac für den besten französischen Premierminister und Schiller für den talentiertesten Dramatiker, liebe Schimpansen und würde gern den Schießsport ausüben, doch das ginge leider nicht, weil er leicht schiele. Und bei jedem dieser Wörter grinste er mich derart süffisant an, dass ich ihm am liebsten die Augen ausgekratzt hätte. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass es mit jeder Stunde, die verging, stärker in mir brodelte.“
„Nun, na ja …“
„Als wir zu Hause ankamen, wurde er plötzlich zärtlich, beinahe feurig. Er flüsterte mir ins Ohr, dass er sich so wild und männlich fühle wie ein gewisser berühmter Verführer.“
„Sie meinen Casanova?“
„Das dachte ich zuerst auch. Meine Wut verrauchte ein wenig, ich war sogar bereit, ihm seine kleinen Gemeinheiten zu verzeihen, doch dann raunte er mir auf meine Frage, wen er meine, zu: Schi-ngis Khan. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass meine Stimmung unter den Nullpunkt rutschte.“
„Ja, durchaus. Wie ging es weiter?“
„Ich bemühte mich um ein Lächeln und meinte, ich wüsste etwas, dass seine Lust noch steigern könnte. Dann ging ich hinunter in den Laden.“
„Sie meinen Ihre Apotheke?“
„Ja.“
„Und dort holten Sie …?“
„… ein Mittel, das schon die alten Römer und Griechen als Aphrodisiakum nutzten. Ich öffnete eine Flasche Wein und gab etwas davon in sein Glas.“
„Woraufhin er wenig später verstarb, weil Sie die Dosis etwas zu hoch angesetzt hatten?“
„Ja. Sie ahnen gar nicht, wie sehr ich die anschließende Ruhe genoss!“
„Was genau war das für ein Mittel?“
„Ich bin sicher, meinem Mann hätte das Wortspiel gefallen. Es handelte sich nämlich um Schierling.“

 

ENDE