An dieser Stelle findet ihr jeden Monat eine neue Kurzgeschichte. Diesmal stelle ich euch meine neue Heldin vor: Marlies, Spitzname Marlies Marple, denn die ältere Dame stolpert immer wieder in Kriminalfälle und löst sie gemeinsam mit ihrer Freundin Bernadette und Mengen von Kuchen. Diesmal wird eine junge Frau ermordet. Da die Geschichte länger ist, stelle ich sie in mehreren Teilen ein. Hier ist der erste:
„Zwei Stück Käsekuchen, bitte“, sagte Marlies auf die Auslage weisend, „und zwei
Rumkugeln.“
Ihre Freundin Bernadette stieß ihr sacht die Spitze ihres Ellenbogens in die Seite.
„Soll das nur für uns beide sein?“, raunte sie entsetzt.
„Auf einem Bein kann man nicht stehen“, behauptete Marlies fest, wandte sich dann aber
wieder der Dame hinter dem Konditoreitresen zu. „Nein, nicht drei Rumkugeln. Nur zwei, bitte.“
„Oh, Verzeihung.“ Die Verkäuferin, eine zarte junge Frau mit einer Hautfarbe wie
Milchkaffee, entfernte eine der Rumkugel von dem kleinen Papptablett. Ihre Hand zitterte leicht, stellte Marlies fest. Weil sie einen kleinen Fehler gemacht hatte? Sowas konnte doch
vorkommen.
Die Verkäuferin warf einen kurzen Blick über Marlies Schulter. Dort befanden sich ein
paar Tische für Kunden, die gleich hier Kaffee und Torte genießen wollten.
„Wenn wir weiterhin so viel Kuchen essen, haben wir bald die Silhouetten von
Elefanten“, unkte Bernadette seufzend.
„Und? Findest du, Elefanten sehen unzufrieden aus? Ich glaube, das sind sehr
ausgeglichene Tiere.“
„Gegen ausgeglichen habe ich nichts“, murmelte Bernadette. „Aber gegen Kleidergröße
XXL.“
„Jetzt hör auf zu meckern.“ Marlies schob einen Zehn-Euro-Schein über den Tresen. „Freu
dich lieber auf den Genuss.“
Bernadette seufzte schon wieder. Marlies wandte sich halb um. Nur einer der Tische war
besetzt. Dort saß vor einer Tasse Kaffee ein Mann, der die junge Frau hinter dem Tresen nicht aus den Augen ließ. Er war hager, hatte kinnlanges rötlichblondes Haar und einen stechenden Blick.
Was hatte der wohl mit dieser netten Verkäuferin zu tun?
„Ihr Wechselgeld“, sagte ebenjene nun, so dass Marlies sich rasch wieder zu ihr
umwandte. Als sie das Geld in ihr Portemonnaie steckte, stutzte sie.
„Ich glaube, Sie haben sich verrechnet“, sagte sie zu der Milchkaffee-Dame. „Hier, der
Euro ist zu viel, der fehlt Ihnen sonst nachher bei der Abrechnung.“
„Oh, vielen Dank!“ Die junge Frau nahm die Münze sichtlich verlegen
entgegen.
„Kann doch mal passieren. Einen schönen Tag noch.“
„Danke. Ihnen auch. Tschüss.“
Mit dem Kuchenpaket in den Händen verließen sie das Café.
„Was hast du plötzlich?“, wunderte sich Bernadette, „du sagst gar nichts mehr und
siehst so vergrübelt aus.“
„Vergrübelt?“ Marlies schloss ihren kleinen Fiat auf und legte den Kuchen auf die
Rückbank. „Eine neue Wortkreation?“
Bernadette nickte stolz. „Klingt doch gut, oder?“
„Ja, ganz toll. Ruf Herrn Duden an. Sag mal, ist dir auch aufgefallen, dass dieses
Fräulein Assami bedrückt wirkte?“
„Wer ist Frau Assami? Nebenbei bemerkt, Fräulein sagt man schon lange nicht
mehr.“
„Ich sag, was ich will. Der Name stand jedenfalls auf dem Schildchen an ihrer
Café-Uniform.“
„Ach, die Verkäuferin! Nein, eigentlich ist mir nichts an ihr aufgefallen“, meinte
Bernadette. „Ein bisschen schusselig war sie, aber sonst ...“
„Eben! Sie war durcheinander. Mit den Gedanken ganz woanders. Ich fand sogar, sie sah
aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Dass du das gar nicht gemerkt hast.“ Marlies schüttelte ungläubig den Kopf und stieg ein. Bernadette nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Ich
habe nicht so sehr auf sie geachtet“, gab sie zu. „Der Kuchen hat mich abgelenkt.“
Marlies betrachtete die Freundin beinahe liebevoll, während sie den Motor anwarf. „Du
unverbesserliches Schleckermäulchen.“
Drei Tage später hatte Marlies einen Friseurtermin bei Inka. Die sonst immer so
quirlige Hairstylistin war ungewohnt wortkarg und ernst, schien gar nicht bei der Sache zu sein.
„Was ist los, Kindchen?“, erkundigte sie sich freundlich, während Inka ihr stumm die
Haare auf kleine Wickler drehte. Ihre Blicke begegneten sich im Spiegel.
„Ach“, meinte Inka trübsinnig, „ich mache mir Sorgen um meine Freundin. Wir waren
vorgestern Abend verabredet, doch sie ist nicht gekommen und ich kann sie seither auch nicht erreichen. Ich habe Angst, dass ihr etwas passiert ist.“
„Inka!“, rief plötzlich Antoine, der eigentlich Anton hieß. Er kam aufgeregt und mit
seinem Handy wedelnd auf sie zu. „Sieh mal, was ich eben entdeckt habe.“
Inka warf einen Blick aufs Display und wurde in der nächsten Sekunde aschfahl. „Oh,
mein Gott!“ Sie ließ sich kraftlos auf den leeren Platz neben Marlies fallen.
Deren Neugier war geweckt. „Was ist denn passiert, um Himmels Willen?“
Antoine hielt ihr sein Handy hin. Mit Befremden bemerkte Marlies dabei seine rosa
lackierten Fingernägel. Antoine lebte das Klischee des schwulen Friseurs mit allen Facetten, und Marlies wusste, dass seine Kundinnen ihn dafür liebten. Für sie selbst dürfte es allerdings gern
eine Nummer kleiner sein.
Das Gesicht, das auf dem kleinen Bildschirm zu sehen war, kam Marlies seltsam bekannt
vor. Doch da es nur von der Seite zu sehen war und die Frau obendrein die Augen geschlossen hatte, war sie unsicher. Vielleicht irrte sie sich auch.
„Das ist Inkas Freundin Viola“, flüsterte Antoine mit einem vorsichtigen Seitenblick zu
seiner Chefin. Inka hatte beide Hände vor ihr Gesicht geschlagen und schluchzte leise.
Über dem Foto stand: Junge Frau tot in der Förde entdeckt. Und darunter deutlich
kleiner: Viola A. von Unbekanntem stranguliert.
„Viola und weiter?“, fragte Marlies ahnungsvoll.
„Assami“, sagte Antoine, steckte sein Handy weg und legte Inka tröstend einen Arm um
die Schultern. Die schien die Geste kaum wahrzunehmen.
„Ich wusste doch, dass ich das Gesicht kenne“, murmelte Marlies. „Sie hat in dem Café
am Hafen gearbeitet, richtig?“
Inka weinte nach wie vor, so dass Antoine an ihrer Stelle zustimmend
nickte.
Nun hob Inka doch den Kopf. „Das war bestimmt ihr Ex“, schniefte sie. „Dieser Henning.“
Ihr sorgfältiges Augen-Make-up war verschmiert.
„Warum glauben Sie das, Kindchen?“, erkundigte sich Marlies sanft.
„Weil er ein eifersüchtiger Psycho ist“, stieß Inka hervor. Sie zupfte ein Kosmetiktuch
aus der Box neben ihr und tupfte sichtlich aufgebracht um ihre Augen herum, was allerdings nicht viel brachte. „Seit Viola sich von ihm getrennt hat, ließ er sie kaum noch in Ruhe. Rief sie
immerzu an, tauchte im Café auf … Sie hatte Angst vor ihm.“
Marlies nickte mitfühlend. „Das sollten Sie unbedingt der Polizei mitteilen“, riet sie.
„Je eher dieser Kerl gefasst werden kann, desto besser.“
Inka nickte und putzte sich die Nase. „Ich rufe gleich dort an“, beschloss sie und warf
einen schnellen Blick in den Spiegel. Bei ihrem Anblick zog sie unwillkürlich eine Grimasse. „Vorher springe ich noch schnell ins Bad. Antoine, machst du bitte weiter?“, bat sie ihren Mitarbeiter
und wies auf Marlies.
„Aber natürlich, Schätzchen.“ Antoine nahm den Platz hinter Marlies ein und führte die
Arbeit seiner Chefin fort.
„Glaubst du auch, dass der Exfreund hinter dem Tod von Inkas Freundin steckt?“, wollte
Marlies wissen.
Antoine zuckte mit den Achseln, während er eine Strähne auf einen Wickler drehte. „Ich
halte es nicht für unmöglich. In ihrer Eitelkeit gekränkte Männer sind unberechenbar. Das weiß ich aus Erfahrung.“ Er seufzte theatralisch.
„Ja, du hast sicher recht“, stimmte Marlies ihm nachdenklich zu. „Sag, kennst du den
Nachnamen von diesem Henning?“
„Klar. Ewert heißt er. Ist der Sohn eines hohen Tiers in der
Stadtverwaltung.“
„Der Sohn von Volker Ewert?“, fragte Marlies verblüfft.
„Ganz genau. Ein reiches Bübchen, dem Papi alles in den kleinen Knackarsch geschoben
hat.“
Volker Ewert, wusste Margit, war Dezernent für Bauen und Finanzen. Ein eingebildeter
Snob, der in der Stadt nicht den besten Ruf hatte. Gut möglich, dass sein Goldsohn ähnlich unsympathisch war. Doch machte ihn das gleich zum Mörder? Ihr fiel der Mann aus dem Café ein, der ihr so
unheimlich gewesen war. Das konnte unmöglich der Sohn von Volker Ewert sein. Aber wer war er dann …?
Fortsetzung folgt ...