Es geht weiter mit 

Marlies Marple und die Tote in der Förde - Teil 2

Mit frisch aufgerüschten Löckchen betrat Marlies am nächsten Tag die Konditorei. Zum einen, um Kuchen für sich und Bernadette zu besorgen, die am Nachmittag auf einen Kaffee vorbeikommen wollte. Der andere Grund war, dass ihr der hagere Mann mit dem stechenden Blick nicht aus dem Kopf ging. Ihre leise Hoffnung, dass dieser womöglich häufiger hier seinen Kaffee trank, erfüllte sich nicht. Alle Tische bis auf einen waren leer, und an dem einzigen, auf den das nicht zutraf, saß ein Rentnerpärchen bei mit Ei belegten Brötchen.
Marlies orderte diesmal zwei Stücke Donauwelle sowie einige Quarkbällchen. Bernadette konnte bei diesen runden Leckerbissen einfach nicht Nein sagen und rollte immer so lustig-verzückt mit den Augen, wenn sie in ein Bällchen biss.
Da keine weiteren Kunden hinter ihr standen, nutzte Marlies die Gelegenheit und wandte sich an die Verkäuferin. Diese war älter und draller als die ermordete Kollegin. Gerade schob sie das Kuchenpaket auf dem Tresen in Marlies Richtung. „Bitte sehr. Macht neun Euro siebzig.“
Marlies begann, in ihrem Portemonnaie zu stöbern. „Ich habe gehört, dass Ihrer Kollegin etwas Schlimmes zugestoßen ist“, sagte sie mitfühlend. „Wie schrecklich das auch für Sie sein muss.“
Es war der Drallen anzusehen, dass Marlies‘ Bemerkung sie überraschte. „Ach, Sie meinen Viola? Ja, das ist furchtbar.“ Sie sah Marlies nicht ins Gesicht, sondern auf ihre Hände, die nach wie vor im Kleingeldfach wühlten. Ein scharfer Beobachter hätte eine gewisse Ungeduld in ihrem Blick erkennen können, und Marlies war eine scharfe Beobachterin. Doch sie ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen.
„Wer mag das wohl gewesen sein?“, fragte sie kopfschüttelnd, während sie begann, Eurostücke nebeneinander auf der Theke abzulegen. Zwei Euro, drei, fünf, sechs …
„Keine Ahnung“, erwiderte Violas Kollegin. „Die Polizei hat mich deswegen auch schon ausgefragt.“
„Und konnten Sie helfen?“ Sieben, acht, achtfünfzig …
„Nee. Ich kannte Viola kaum. Hab nur mal mitbekommen, dass sie sich am Telefon mit ihrem Freund gestritten hat.“
„Ist das so ein Hagerer? Mit dunklen Haaren bis zum Kinn?“ Neunfünfzig …
Ein rundlicher Finger zählte die Eurostücke ab. „Es fehlen noch zwanzig Cent“, sagte die Verkäuferin. „Violas Freund hab ich nie gesehen. Sie meinen wahrscheinlich diesen komischen Typen, der öfter hier war und immer von ihr bedient werden wollte.“
Marlies legte ein Zehncentstück auf den Tresen. „Ja, genau!“ sagte sie mit breitem Lächeln. „Dann kannte Viola ihn wohl.“ Ein Fünfcentstück gesellte sich zu dem Zehncentstück.
„Kam mir so vor“, antwortete schulterzuckend die Dralle. Inzwischen waren weitere Kunden ins Café gekommen und warteten ungeduldig darauf, an die Reihe zu kommen.
Marlies legte die letzte fehlende Münze auf den Tresen, hielt sie aber mit dem Finger fest und fixierte Violas Kollegin. „Hat sie seinen Namen gekannt?“
Die Dralle schien nun endgültig genug zu haben von dieser investigativen Kundin. „Wieso wollen Sie das alles eigentlich wissen?“
„Ach, wissen Sie, ich bin eine neugierige und gelangweilte Rentnerin, die ihrer Freundin bei Kaffee und Kuchen den neuesten Klatsch erzählen will“, sagte Marlies lächelnd. Ihr Finger hob sich und die Dralle schnappte sich das Kleingeld. „Wenn ich mich nicht irre, hat sie ihn einmal Marko genannt“, sagte sie. „Oder Mirko. Irgendwas in der Art. Haben Sie jetzt genug Infos für Ihren Kaffeeklatsch?“
„Auf jeden Fall!“ Marlies schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Haben Sie vielen Dank.“
„Schönen Tag noch“, kam es knapp zurück. Die Aufmerksamkeit der Drallen hatte sich bereits dem nächsten Kunden zugewandt. „Was darf’s denn sein?“

Bei einem heißen Kaffee berichtete Marlies ihrer Freundin von dem, was sie erfahren hatte.
Bernadettes Lippen waren voller Zucker. Zwei Quarkbällchen hatte sie bereits beim Zuhören vertilgt. Nun stieß sie die Kuchengabel in das Stück Donauwelle.
„Du willst jetzt also herausbekommen, wer dieser Marko oder Mirko ist?“, hakte sie nach.
Marlies nickte eifrig. „Ich weiß auch schon, wie.“
„Und? Verrätst du es mir, Marlies Marple?“ Bernadette zwinkerte ihr zu. „Du bist ja wieder so richtig schön in deinem Element.“
„Stimmt schon“, räumte Marlies ein, „ich will herausfinden, was es mit diesem Unbekannten auf sich hat. Und deshalb dachte ich, du könntest Tim anrufen.“
Bernadette verschluckte sich fast an dem Kuchenstück, das sie sich gerade in den Mund geschoben hatte. „Meinen Enkel?“, fragte sie undeutlich. „Wiefo daff denn?“
„Der kennt sich doch aus in diesen … wie heißt das noch … diesen sozialen Medien. Da kann man einfach jeden finden, habe ich mal gehört.“
Eine halbe Stunde später schrillte die Türklingel wie eine Alarmanlage. Marlies öffnete und Tim kam hereingestürzt. „Was ist los?“, fragte er mit einem Anflug von Panik in der Stimme. „Wo ist Oma?“
„Im Wohnzimmer. Möchtest du einen Kaffee? Es sind auch noch Quarkbällchen da.“
Tims Stirn legte sich in Falten. „Was geht hier vor? Oma hat mich angerufen und nur aufgeregt gerufen, ich müsse sofort herkommen, es sei wichtig. Ich hab gedacht, es geht um Leben und Tod. Stattdessen müffelt ihr gemütlich Kuchen?“
„Im Grunde geht es um Leben und Tod“, versuchte Marlies den jungen Mann zu beschwichtigen. „Komm erstmal rein.“
Widerstrebend folgte er ihr. „Also, wenn es sich nicht um einen Notfall handelt, bin ich echt angepisst“, warnte er.
„Hallo, mein Junge“, begrüßte ihn gut gelaunt seine Großmutter Bernadette. „Wie geht’s dir?“
Tim verschränkte verärgert die Arme vor der Brust. „Was soll der Aufstand, Oma?“
„Setz dich“, forderte Marlies ihn auf, die Kaffeekanne in der Hand. „Dann erzählen wir dir alles.“

„Okay“, seufzte Tim einige Minuten später und zückte sein Smartphone. „Wie heißt diese ermordete Frau noch gleich?“
„Viola Assami“, sagte Marlies.
„Zum Glück kein allzu häufiger Name.“ Tim wischte und tippte. „Da ist sie schon. Ich gehe mal ihre Freundesliste durch.“
Gebannt beobachteten Marlies und Bernadette, wie er mit konzentriertem Blick auf das Display starrte. „Hier ist ein Marko“, sagte er schließlich. „Ist das der Typ?“ Er hielt Marlies ein Foto unter die Nase.
Sie schüttelte enttäuscht den Kopf. „Nein, er sah völlig anders aus.“
Tim suchte weiter. „Allzu viele Facebook-Buddys hat sie nicht, sorry. Ich fürchte, der Kerl, den ihr sucht, ist nicht dabei. Aber ich schaue mal, wer zuletzt ihre Beiträge geliked hat.“
„Ge-was?“, fragte Bernadette verwirrt.
„Geliked“, wiederholte Tim. Er schien amüsiert über die beiden Dinosaurier am Tisch, die von nichts eine Ahnung hatten. „Das heißt, jemanden ein Daumen hoch geben.“ Er streckte einen Daumen in die Höhe.
„Ah ja“, machte Bernadette und tauschte einen ratlosen Blick mit Marlies. Die winkte ab. Was auch immer in diesem Facebook gemacht wurde, war ihr gleich. Hauptsache, Tim wurde fündig.
„Hier ist ein Maiko“, verkündete er nach einigen schweigsamen Minuten. „Das ist ein Bild von ihm. Könnte er sein, oder?“
Marlies‘ Herz schlug höher. „Das ist er tatsächlich!“, rief sie erfreut aus. „Kannst du mehr über ihn herausfinden?“
„Klar, ich schaue mal in sein Profil.“
Bernadette war anzusehen, dass sie auch das nicht kapierte, doch diesmal schwieg sie.
„Seinen Nachnamen hat er nur mit K Punkt angegeben“, berichtete Tim. „Aber er arbeitet in der Diako.“
„Ist er etwa Arzt?“, fragte Marlies überrascht. „So sah er gar nicht aus.“
„Das steht hier nicht. Vermutlich ist er Krankenpfleger oder so.“
Marlies wandte sich an Bernadette. „Sag mal, liegt dein Nachbar Herbert nicht in der Diako?“
„Ja, seit drei Tagen“, bestätigte ihre Freundin. „Er hat irgendwas mit der Prostata, soviel ich weiß.“
„Hast du ihn schon besucht?“
„Nein. Hatte ich auch nicht vor, um ehrlich zu sein. So nah stehen wir uns nicht.“
„Das sollten wir ändern“, meinte Marlies und lächelte Bernadette zu. „Hier, nimm noch ein Quarkbällchen, meine Liebe.“


Fortsetzung folgt ...